DIE KOWA SER UND SET-R ZENTRALVERSCHLUSS-SPIEGELREFLEXKAMERAS
Die Kowa SER und Set-R Kameras (gebaut von Ende der 1960er-Jahre bis Anfang der 1970er-Jahre waren schon zu ihrer Bauzeit etwas ganz spezielles, denn es waren die weltweit letztgebauten Zentralverschlußkameras überhaupt.
In der Tradition der großen deutschen Hersteller wie u.a. Zeiss (Contaflex) und Voigtländer(Bessamatic und Ultramatic) baute man auch in Japan bei Kowa (nach Sucherkameras mit dem gleichen Prinzip) drei Wechselobjektiv-Kameras mit Zentralverschluß. Die Kowa SER wurde hierbei nach einigen wenigen Jahren von der Kowa Set-R und der Set-R2 abgelöst.
Bemerkenswert ist hier die Beharrlichkeit, mit der Kowa das Zentralverschluß-System in die 70er Jahre transportierte. Dieses aufgrund seiner technischen Limitationen spätestens ab den mittleren 1960er-Jahren überholte System führte schon bei den großen deutschen Herstellern direkt in den Niedergang und war einer der "Sargnägel" der deutschen Kamera-Industrie, die 1972 in der Kamera-Produktionseinstellung bei Zeiss endete.
Den großen Unterschied zu den letzten deutschen Zentralverschlußkameras bildet die Form und das Design der Kowa SER/Set-R-Kameras. Sie waren damals optisch absolut zeitgemäß, vergleichbar etwa mit der Pentax Spotmatic und den anderen japanischen Spiegelreflex-Kameras, was den Formfaktor angeht.
Neben dem großen Vorteil des Zentralverschlusses, dass bei allen Belichtungszeiten ein Blitzeinsatz möglich ist, führt dieser aber neben extrem erschwerten Objektivkonstruktionen auch zu großen Zuverlässigkeitsproblemen aufgrund der Komplexität der Ansteuerung. Man findet heutzutage kaum noch eine überhaupt funktionierende Kowa-Kamera, geschweige denn jemanden, der diese reparieren kann.
Weiterführende Informationen zur Kamera und Bilder auf Film findet ihr im sehr interessanten Artikel von Mike Eckman: Kowa Set-R
KOWA SER 35mm f2.8
Kommen wir zum Objektiv, dass ich euch gerne vorstellen möchte.
Das Kowa SER 35mm f2.8 war das moderate Weitwinkel-Objektiv zur Kowa SER (für die, die es weiter mögen war auch noch das 28mm f3.5 im Angebot), der ersten Generation von Kowa SLR-Kameras mit Wechselobjektiven.
Es ist ein 6-linsiges Design mit Lichtstärke f2.8, sehr kompakt, und wie alle Kowa-Objektive in einem schönen Berg-und Tal-Design mit Chromnase.
Haptisch sind die Kowa-Objektive ein Genuss, und der klicklose Blendenring (am Adapter) ist für Filmer natürlich von Vorteil.
So sieht das Objektiv neben und an meinem selbstgebauten Adapter für die Kowa-Objektive auf den Sony E-Mount aus:
....und ein paar weitere Bilder des Objektives alleine:
WENN IHR WISSEN WOLLT, WIE MAN SICH EINEN SOLCHEN ADAPTER SELBST BAUEN KANN, FINDET IHR HIER ALLE WICHTIGEN INFORMATIONEN!
Ein paar technische Informationen zum Objektiv:
Gewicht: 172g
Länge: 53mm
Durchmesser 59mm
Optisches Design: 6 Linsen
Blende: von f2,8 bis f16
Blndendesign: 5 Blendenlamellen
Filterdurchmesser: 49mm
Naheinstellgrenze: 40cm (durch meinen Adapter mit zusätzlichem Helicoid ca. 25cm)
Als Kamera in diesem Test diente mir die Sony Alpha 7RIII mit 42MP.
Das Kowa SER 35mm f2.8 hat mir viele schöne Aufnahmen beschert -
wie alle Kowa-Objektive, die ich bisher an der Kamera hatte, finde ich es vor allem für Bilder im Nahbereich, bei denen man nahe am Motiv ist, besonders geeignet.
Hier überzeugt es mit guter Schärfe ab Offenblende, und das Hintergrundverhalten ist wirklich "besonders" (ob besonders schön, liegt im Auge des Betrachters - es kommt hier sehr darauf an ob man es eher besonders weich oder eher "busy" mag).
Um direkt mal ein Gefühl für die Leistungsfähigkeit und das Bokehverhalten zu vermitteln,
möchte ich mit einer kleinen Blendenreihe im Nahbereich starten. Die Gesamtbilder zeigen schön die Veränderungen im Bokehverhalten. Um auch einen Schärfevergleich zu ermöglichen, habe ich darunter 100%-Crops vom Stempel erstellt - ihr könnt die Bilder auch bildschirmfüllend ansehen, wenn ihr in den "Slider" klickt.
Übersichtsbilder f2.8 - f4 - f5.6:
...und hier aus diesen Bildern die 100%-Crops vom Schärfepunkt, dem Stempel.
Auch hier in der Reihenfolge f2.8 - f4 - f5.6:
Wie man gut sieht, ist die Schärfe schon ab Offenblende wirklich sehr gut.
(Eigentlich sensationell für ein 50 Jahre altes Weitwinkel...)
Bei f4 wird es dann ausgezeichnet und die Kontraste werden knackiger, bei f5.6 steigert sich nur die Schärfentiefe.
Da diese Bilder für die Bildschärfe im Nahbereich exemplarisch sind, spare ich mir ab jetzt weitere Vergrößerungen - die Details sind immer sehr gut, und konzentriere mich auf die Bildeindrücke.
Hier ein weiteres Bildpaar im Nahbereich zum Vergleich bei f2.8 und f5.6:
Das Bokeh des Kowa SER 35mm f2.8 ist im Nahbereich meistens nicht sehr weich und cremig,
sondern es zeigt deutliche Spuren von Outlining und hat auch einen erkennbaren Hang zum Swirl.
Auch zeigt es ausgeprägte Bokeh-Bubbles.
Bei bedecktem Himmel und dementsprechend weichem Licht fällt dies noch nicht extrem ins Gewicht:
Wenn es sonniger ist (bzw. auch die Sonne mehr durchscheint) wird das Bokeh unruhiger und die Bubble-Neigung wird deutlich verstärkt:
Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass dies kein Objektiv für die Liebhaber von ruhigem, cremigem Bokeh ist - wenn man auf "Charakter" steht und die Aberrationen gerne in seine Bildkomposition einbezieht, ist es eine sehr gute Wahl!
Auf etwas weitere Distanzen ist das Objektiv auch bei Offenblende gut zu gebrauchen,
hier profitiert es natürlich aber vom Abblenden.
Ein Vergleichsbeispiel bei Offenblende f2.8 und f5.6, bei dem man auch gut die Veränderung im Vordergrundbokeh sehen kann:
Einige weitere offenblendige Beispiele auf etwas größere Distanzen:
Und hier zum Bokehvergleich 2 Bildpaare mit unterschiedlichem Fokus -
je einmal auf die herabhängenden Äste im Vordergrund, und einmal auf den Baumstamm fokussiert:
Nach diesen vor allem auf das Bildrendering bezugnehmenden Bildern wird es Zeit,
die Bildschärfe und Bildfehler näher anzusehen.
Dazu habe ich euch eine Schärfe-Bildreihe auf weite Distanz erstellt.
Der Fokus lag auf dem mittleren Haus in der vorderen Häuserreihe. Das rechte Haus der Reihe steht mit diesem in der gleichen Distanz, was einen guten Vergleich der Schärfe im Zentrum und in der Ecke ermöglicht.
Hier zuerst die Gesamtbilder in der Übersicht,
Blendenstufen waren f2.8, f4, f5.6, f8 und f11:
Aus diesen Gesamtbildern nun 100%-Vergrößerungen aus der Bildmitte vom Fokuspunkt,
in der gleichen Reihenfolge wie die Gesamtbilder:
Und die 100%-Vergrößerungen aus der rechten unteren Bildecke, die in der gleichen Schärfeebene liegt. Die Reihenfolge bleibt auch hier unverändert:
Man sieht sehr schön die in den Gesamtbildern vorhandene Vignettierung.
Diese ist bei f2.8 sehr stark, wird mit jedem weiteren Abblenden weniger, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Das war wohl ein Kompromiss, der für die kleine Baugröße (oder aufgrund des Zentralverschlusses) eingegangen werden musste bei der Konstruktion des Objektives.
Die Schärfe im Zentrum ist auf große Distanz bei Offenblende f2.8 noch weich und stark von sphärischer Aberration (Glow) überlagert, auch die Kontraste sind noch schwach.
Bei f4 verbessern sich die Schärfe und die Kontraste ein wenig auf ordentliches Niveau, vor allem der Glow verschwindet.
Bei f5.6 findet dann ein deutlicher Leistungszuwachs statt auf ein sehr gutes Niveau,
f8 bleibt dazu eigentlich unverändert.
Bei f11 schlägt die Beugung schon zu und die Schärfe nimmt minimal ab im Zentrum.
In der Ecke findet eine ähnliche Entwicklung statt.
Bei f2.8 sind Schärfe und Kontraste noch schwach und extrem von sphärischer Aberration überlagert.
Bei f4 sieht man nur eine leichte Verbesserung.
Erst ab f5.6 kann man von einem ordentlichen Niveau reden, bei f8 sieht man nochmal einen Schärfezuwachs.
Überraschenderweise ist bei f11 die beste Schärfe erreicht trotz der Beugung,
hier könnte man von einem knapp guten Ergebnis reden.
Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass es bessere Landschafts-35mm-Objektive gibt.
An den Bildrändern wird es scharf genug auf f8 oder f11 abgeblendet, die Ecken werden nie wirklich knackscharf.
Was dies in der fotografischen Praxis bedeutet, möchte ich euch mit den folgenden Bildbeispielen zeigen.
Hier ein auf f8 abgeblendetes Bild, der Fokus lag auf der kleinen Hütte rechts der Bildmitte.
Das Bild ist bis zu den Rändern scharf, nur in den äußersten Ecken (die weit vor der Schärfeebene liegen) ist es noch etwas matschig.
Ich finde, in der Praxis also absolut nutzbar und besser, als es die Schärfereihe sugerriert - bei mir liegen in den äußersten Bildecken auch nur selten wichtige Elemente :-)
Weitere Beispiele abgeblendet auf f8 oder f11:
Kommen wir zu den weiteren Bildfehlern.
Das Objektiv verzeichnet sehr schwach kissenförmig, jedoch ohne komplizierten Schnurrbart - wäre also (falls überhaupt nötig) sehr leicht in der EBV zu korrigieren.
Außerdem sieht man wieder sehr schön die Vignette:
Beim Thema chromatische Aberrationen ist das Objektiv sehr unauffällig.
Leichte Spuren von magenta und grün vor bzw. hinter der Schärfeebene sind in Extremsituationen zu finden, jedoch "kaum der Rede wert":
Das Verhalten gegen die Sonne in Bezug auf Flares und Kontrastverlust ist für ein solch altes Weitwinkel sehr gutmütig, natürlich nicht vergleichbar mit einem modernen Objektiv mit effektivem Multicoating.
Es gibt Flares, damit muss man sich arrangieren und sie möglichst in die Bildkomposition einbauen.
Die entstehenden Kontrasverluste sind in der EBV jedoch gut aufzufangen.
Die Blendensterne sind auf f11 und f16 abgeblendet mit ihren 10 entstehenden Strahlen sehr schön - nicht extrem definiert, aber auch nicht zu zerfasert.
Hier 3 Bilder, die die Flareneigung zeigen - mit abnehmender Sonnenverdeckung nehmen Flares und Blobs zu:
Dass man dieses Verhalten gegen die Sonne sehr schön benutzen kann, zeigen euch die folgenden Bilder von einem Sonnenuntergangsspaziergang:
Das Kowa SER 35mm f2.8 ist für mich ein Objektiv "für die besonderen Momente".
Es hat einige Schwächen - dazu zählen vor allem die fehlende Eckschärfe, die deutliche Vignettierung und das nicht optimale Gegenlichtverhalten.
Dem entgegen stehen die sehr gute zentrale Schärfe (vor allem im Nahbereich) und das sehr charakterstarke, in meinen Augen schöne Bokeh.
Auch auf sonstige Bildfehler wie Verzeichnung und Farbfehler ist das Objektiv sehr gut korrigiert.
Abgeblendet ist auch die Randschärfe gut, die Ecken bleiben leider immer etwas matschig.
Für mich war das Objektiv mit seinem einzigartigen Rendering eine Entdeckung -
denn nicht immer braucht man ein technisch perfektes Objektiv für schöne Bilder,
manchmal tragen auch vorhandene Bildfehler positiv zum Bildeindruck bei.
Abrundend noch ein paar weitere Bilder, ihr dürft mir gerne eure Gedanken zu dieser Objektivvorstellung unter diesen Bildern schreiben...
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