Carl Zeiss Ultron 50mm f1.8

Das Carl Zeiss Ultron 50mm f1.8 war bei seinem Erscheinen 1968 ein Meilenstein.

Von A. W. Tronnier beim zu Zeiss gehörenden Voigtländer-Konzern gerechnet, erschien es ausschließlich für die Icarex.

Aussergewöhnlich war vor allem die Konstruktion, um die sich einige Mythen ranken:

Es war das erste serienmäßig hergestellte Objektiv mit einer konkaven Frontlinse.

Warum man diese Konstruktionsart gewählt hat, wurde nie erklärt - einer der oben genannten Mythen besagt, es habe sich um eine Wette A. W. Tronniers gehandelt, der einfach beweisen wollte, dass es auch "anders herum" geht.

Das wirklich aussergewöhnliche war aber die für seine Konstruktionszeit sensationelle Bildqualität.

Laut zeitgenössischen Tests erreichte das Ultron spielend bei f2.8 die Schärfe der Konkurrenten bei f5.6.

Wie sich dieses Juwel seiner Zeit an einer modernen Digitalkamera schlägt, möchte ich euch mit meiner Vorstellung gerne zeigen.

 

Wie immer zuerst ein paar technische Daten:

 

Länge: 50mm

Gewicht: 258g

Blende: von f1.8 bis f16, stufenlos, 5 Blendenlamellen

Filteranschluß: B50

Naheinstellgrenze: 45cm

 

Komplett aus Glas und Metall gefertigt, mit seinen polierten, gefrästen Fokus- und Blendenringen aus Aluminium, vermittelt es absolute Top-Qualität in der Verarbeitung, auch noch nach 50 Jahren.

 

Einige Bilder des Objektives (mit Original-Gummi-Streulichtblende) und der verwendeten Adapter:

Und hier mein Adaptionsweg: Auf den Icarex-BM-Anschluß einen dünnen Icarex-BM auf Canon EF-Adapter ansetzen....

....und darauf den Canon EF auf  Sony E-Mount HELICOID- (Macro-Focussing-) Adapter.

Dieser ermöglicht in der hier gezeigten Normal-Stellung sowohl unendlich.....

.....als auch durch ausdrehen des zusätzlichen Helicoids im Adapter eine nochmals erweiterte Fokussierung in den Nah-(Makro-)Bereich.

Die Bilder des Testberichtes sind alle in Lightroom angepasst,

Kamera für den Test war die Sony Alpha 7III.

 

Starten möchte ich direkt mit der Analyse der Bildschärfe.

 

Ich habe eine Schärfereihe auf große Distanz angefertigt. Zuerst  zeige ich euch die Gesamtbilder bei den Blendenstufen f1.8 - f2.8 - f4 - f5.6 - f8 - f11.

Man sieht, dass das Objektiv bei Offenblende noch deutlich vignettiert. Die Randabdunkelung ist relativ stark. Bei f2.8 und f4 verbessert sich dies schrittweise. Ab f5.6 ist keine sichtbare Vignettierung mehr vorhanden.

 

Zur genauen Analyse der Bildschärfe und einer möglichen Bildfeldwölbung habe ich 100%-Vergrößerungen des Fokuspunktes (Das Haus in der Mitte der vorderen Häuserreihe) sowie der oberen rechten Bildecke (Das Haus oben rechts in der vorderen Häuserreihe) angefertigt.

Beide vergrößerten Objektie liegen in einer Schärfeebene.

 

Die 100%-Vergrößerungen der Bildmitte in der gleichen Reihenfolge wie die Gesamtbilder:

Wir starten in der Bildmitte bei Offenblende f1.8 schon auf sehr gutem Schärfeniveau, einzig die Kontraste sind noch nicht voll da.

Bei f2.8 steigert sich die Grundschärfe minimal, aber die Kontraste erfahren eine deutliche Steigerung.

Ab f4 bis f8 ist die Mittenschärfe hervorragend und die Kontraste sind sehr gut.

Bei f11 sieht man den Einfluss der Diffraktion und die Schärfe geht wieder in Richtung Offenblendniveau zurück.

 

Weiter geht es mit dem 100%-Vergrößerungen der Bildecke, ebenfalls in der gleichen Reihenfolge:

Bei Offenblende f1.8 sieht man neben der deutlichen Abdunklung durch die Vignettierung,

dass das Bild ordentlich scharf, aber stark überlagert ist durch einen Glow (spärische Abberation).

 

Bei f2.8 "lichtet sich dieser Nebel" und das bild klart auf. Die Schärfe ist schon auf gutem Niveau.

 

Bei f4 steigert sich die Grundschärfe nochmals auf sehr gutes Niveau, die Kontraste sind noch nicht voll da.

 

Bei f5.6 und f8 sind sowohl Schärfe als auch Kontraste klasse, bei f11 wegen Beugung minimal schwächer.

 

Im Kapitel Bildschärfe auf weite Distanz ist dies das Beste, was ich bei einem alten Objektiv jemals im Test mit eigenen Augen gesehen habe. Schon bei Offenblende überraschend gut, ab f5.6 bis in die äußerste Bildecke knackscharf.  Sein legendärer Ruf scheint nicht unbegründet.

 

Im normalen "Fotoalltag" sieht das folgendermaßen aus: Ich habe gegen unendlich auf die Kirchturmuhr fokussiert, und ihr seht jeweils das Gesamtbild bei f1.8, f4 und f8 mit der 100%-Vergrößerung des Fokuspunktes daneben. Die Bilder sind im starken Sonnenlicht entstandem, also eine wirkliche Bewährungsprobe:

Bei f1.8 ist die Schärfe schon gut, aber man sieht an den harten Kontrastkanten, dass die spärische Abberation eine genaue Trennung noch nicht ermöglicht.

Ab f4 ist schärfemäßig schon keine Steigerung mehr möglich - das Objektiv hat die Auflösungsgrenze des 24MP-Sensors bereits erreicht, man erkennt dies am Moirée-Muster auf dem Dach rechts neben dem Kirchturm. Beim f8-Bild steigert sich nur die Schärfentiefe.

Die Patente des Objektives legen eine Optimierung der Rechnung auf unendlich nahe - deshalb ist es umso interessanter, wie es sich im Nahbereich schlägt. Hierzu habe ich eine Pflanze im Gegenlicht gewählt, Distanz knapp über der Naheinstellgrenze.

Auch hier eine Blendenreihe f1.8 - f2.8 - f4 - f5.6 - f8 (f11 habe ich ab jetzt weggelassen, da nach f8 keine weitere Steigerung mehr erfolgt). Die Gesamtbilder:

Auch aus diesen Bildern die 100%-Vergrößerungen vom Fokuspunkt:

Hier zeigt sich sensationellerweise das gleiche Verhalten wie gegen unendlich. Fokussiert hatte ich auf das linke größere Blatt. Dieses ist bei Offenblende f1.8 schon knackscharf, im Hintergrund sieht man an den Highlights etwas Bokeh-Fringing. Bei f2.8 steigert sich die Schärfe noch minimal und die Kontraste deutlich, ab f4 nur noch die Schärfentiefe.

Wirklich außergewöhnlich gut. Wenn man sich dann noch das Einführungsjahr 1968 in Erinnerung ruft, muss man den damaligen Lobeshymnen auch heute noch zustimmen.

 

Ich habe dann die zusätzliche Nahbereichs-Fokussierung des Helicoid-Adapters benutzt,

Aufnahmedistanz ca. 30cm - also Bilder, für die das Objektiv nie gerechnet wurde:

Links wieder das Gesamtbild, rechts die 100%-Vergrößerung.

Blendenstufen sind f2.8 - f4 - f5.6

Man sieht, auch im extremen Nahbereich ist die Schärfe ab f2.8 sensationell, es steigert sich wieder nur die Tiefenschärfe.

An einem schönen Frühlingsblumen-Motiv habe ich noch eine Blendenreihe in Hinsicht auf Schärfe und Bokeh für euch,

Blende f1.8 - f2.8 - f4 - f5.6

Wieder die tolle Schärfe ab Offenblende, und das Bokeh ist hier sehr schön weich bei allen Blendenstufen.

Wenn der Hintergrund weiter vom Motiv entfernt ist, schafft es das Ultron immer, diesen weich aufzulösen.

Nach dieser detaillierten "Schärfeanalyse" möchte ich euch Beispiele für das Bokehverhalten des Objektives auf verschiedene Distanzen zeigen. Zuerst Bilder im Nahbereich, wo man gut sieht,  dass das Bokeh bei großem Abstand Motiv - Hintergrund sehr schön weich gerendert wird:

Im Nicht-Nahbereich mit großem Abstand Motiv - Hintergrund ist das ebenfalls der Fall.

Je nach Situation bilden sich schöne Bokeh-Bubbles und es gibt eine schwache Tendenz zum Swirl:

Im Nahbereich mit wenig Abstand zum Hintergrund bekommt man je nach Aufnahmesituation "alles" - von wunderschön weich bis Swirl, aber immer mit charakteristischem Rendering:

Beim Abblenden sieht man je nach Situation mal prominent, mal nicht so prominent die aus der Blendenform resultierenden Fünfecke in den Highlight-Scheibchen. Hier zum Vergleich bei f1.8 und f2.8 mit 100%-Vergrößerungen vom Schärfepunkt:

Auch diese Fünfecke haben durchaus ihren Charme!

 

Weitere Bildpaare bei Offenblende f1.8 und f2.8:

Dem Ultron wird ja ein gewisser "3D-Pop" nachgesagt, der über die normale Freistellung hinausgeht.

Ich kann dies aus meiner Erfahrung für gewisse Aufnahmesituationen bestätigen - hier sieht man es schön:

Natürlich gibt es bei einem Objektiv der 1960er-Jahre bei Offenblende Farbfehler in Form von chromatischen Abberationen. Diese sind vor allem an Kontrastkanten sichtbar.

Links das Gesamtbild, rechts die 100%-Vergrößerung:

Diese Farbfehler sind jedoch für ein Objektiv dieses Alters nur relativ schwach ausgeprägt, im Gesamtbild muss man sie wirklich suchen:

Sein Alter merkt man dem Objektiv eigentlich nur im Gegenlichtverhalten an. Hier hat der Objektivbau in den letzten Jahrzehnten mit der Einführung effektiver Mehrschichtvergütungen den größten Schritt getan.

Man muss mit dem Ultron deshalb im Gegenlicht und auch bei Streulicht wirklich aufpassen.

Leicht bekommt man folgende Flares und Kontrastverluste, im zweiten Bild habe ich minimal umkomponiert und die Einflüsse so leicht mildern können:

Direkt mit Sonne im Bild erhält man starke Kontrastverluste und farbige Blobs.

Auch ein Sonnenstern ist nur schwer zu provozieren.

Auch hier kann man versuchen, die Fehler zu minimieren (letztes Bild) - vollständig vermeiden kann man sie leider nicht:

Wie die Schärfereihen zu Beginn dieser Vorstellung schon versprechen,

ist das Ultron abgeblendet ein hervorragendes Landschaftsobjektiv mit toller Schärfe über das ganze Bild.

Hier bei f4 (und im Gegenlicht beim letzten Bild).....

....sowie hier weiter abgeblendet auf f5.6 und f8:

Meine Einschätzung:

 

Ich kann mich den zeitgenössischen Testberichten nur anschließen.

Ein aussergewöhnlich leistungsstarkes Objektiv, auch noch nach heutigen Gesichtspunkten.

 

Die Bildschärfe ist über alle Zweifel erhaben, und dies verbunden mit einem ausdrucksstarken,

einzigartigen Bildrendering mit sichtbarem 3D-Pop.

 

Natürlich hat es altersgerechte Schwächen, vor allem das Gegenlichtverhalten unterscheidet es von einem modernen Objektiv.

 

Die (relativ geringen) Farbfehler und die (deutliche) Vignettierung sind typisch für lichtstarke Objektive (auch heute noch!).

 

Dieses Objektiv gilt zurecht als ein Leuchtturmobjektiv seiner Zeit. Schade, dass auch dieses Glas nicht verhindern konnte, dass das Icarex-Kamerasystem aufgrund vieler entwicklungs- und marketingtechnischer Fehlentscheidungen bei Zeiss wie der namensgebende Icarus "in der Sonne verglühte" und gegen die japanische Konkurrenz keinen Stich mehr machte.

 

Zur Abrundung dieses Tests noch einige weitere Bilder....

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0