Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 35-70mm f2.7-3.5

Liebe Leser,

 

ich freue mich, hier eine Seltenheit vorstellen zu können, das

 

Carl Zeiss Jena Vario-Prakticar 35-70mm f2.7-3.5

 

Es handelt sich bei diesem Objektiv um eine der letzten Neuentwicklungen aus dem Hause Carl Zeiss Jena vor der Wende.
Entwickelt 1983, wurde es aber erst 1987 vorgestellt und in sehr geringen Stückzahlen produziert. Man geht von 4000 Exemplaren insgesamt aus, darin sind auch die Schwestermodelle des "Vario-Pancolar" für M42 enthalten.

 

Hier auf der tollen Website von Zeissikonveb findet ihr viele weitere Informationen und Hintergründe zum Objektiv und seiner Entwicklung. Schaut dort mal rein, das ist in meinen Augen die beste und umfangreichste Informationsquelle zu DDR-Objektiven überhaupt.


Mein Exemplar ist in hervorragendem Zustand, eigentlich wie ladenneu.
Kein Staub, keine Kratzer, die Blende sowie die Zoom- und Fokusringe laufen perfekt.


Ein paar technische Daten zum Objektiv:

Optisches System: 9 Linsen in 8 Gliedern, Zweigruppenbauweise mit Planplatte
Blende : von f2.7/3.5 bis f22, in Halbstufen rastend
Länge: 74,5mm bei 70mm Brennweite
Frontfilterdurchmesser: 58mm
Gewicht: 480g
Naheinstellgrenze: 80cm, bei 70mm Makromodus zuschaltbar bis Maßstab 1:3

Ein paar Bilder des schönen Teiles:

Die folgenden Bilder zeigen das Vario-Prakticar (ab hier nur noch kurz "VP") adaptiert an die Sony Alpha 7III:

Kamera für den Test war die Sony Alpha 7RIII, die Bilder sind in LR angepasst.

 

Adaptieren kann man das Objektiv auf 2 verschiedenen Wegen,
einmal direkt per Praktica PB auf Nex-Adapter (wie auf meinen Bildern oben)
oder auf dem Weg Praktica-PB-Ring auf Canon EOS und dann weiter per EOS -Nex-Helicoid-Adapter,
der eine zusätzliche Nahbereichsfokussierung ermöglicht, denn 80cm Naheinstellgrenze sind nicht gerade üppig.

Starten möchte ich meine Vorstellung mit Bildern aus der "Reportage"-Praxis,

dem wohl wichtigsten Anwendungsgebiet. Die variable Brennweite vom normalen Weitwinkel bis zur leichten Tele-Brennweite macht es ideal für Städtetrips und ähnliches.

Die Bildqualität ist hierbei erstaunlich gut für ein lichtstarkes Zoom-Objektiv der frühen 1980er-Jahre.

Im Zentrum ist es bei allen Brennweiten schon bei Offenblende scharf. Um Randschärfe zu erhalten, muss man es abblenden. Bei f5.6 ist schon eine gute Randschärfe erreicht, bei f8 ist die Schärfe bei allen Brennweiten über das ganze Bild sehr gut.

Auffällig ist die sichtbare Vignettierung bei 35mm, und bei starken Kontrasten findet man leichte chromatische Aberrationen an den Kontrastkanten.

 

Hier ein Beispielbild bei 70mm und f8, das die tolle Schärfe über das komplette Bild etwas abgeblendet zeigt:

Auch bei 35mm und f8 sieht das sehr gut aus (die Aufnahme ist bei Dämmerung schon mit hohem ISO-Wert entstanden):

Der auffälligste Bildfehler des Objektives neben der Vignettierung bei 35mm ist die Verzeichnung.

Hierfür habe ich bei den 3 Kernbrennweiten des Objektives (35, 50 und 70mm) Testfotos erstellt,

die diese gut zeigen. Um den gleichen Bildausschnitt zu erhalten, bin ich jeweils ein paar Schritte zurückgegangen.

Ihr seht bei den jeweiligen Bildern links das unkorrigierte Bild und rechts daneben das per Lightroom-Verzeichnungskorrektur behandelte Bild. Die gute Nachricht hierbei ist, dass es keine wellen- oder schnurbbartartige Verzeichnung gibt und die Korrektur somit sehr einfach mit den Bordmitteln des Raw-Converters möglich ist.

 

Hier die Werte der Korrektur:

35mm +7

50mm -1

70mm -2

 

35mm:

50mm:

70mm:

Während bei 50 und 70mm kaum eine Korrektur nötig wäre (außer bei kritischen Architektur-Aufnahmen), ist die Verzeichnung bei 35mm deutlich sichtbar und muss korrigiert werden.

Aber auch hier erreicht man mit dem oben angegebenen geringen Korrekturwert ein sehr gutes Ergebnis.

 

Für diese nötige Korrektur noch ein paar Beispiele aus der Praxis.

Jeweils links das unkorrigierte, rechts die korrigierte Version.

Die Ergebnisse nach der Korrektur halten auch kritischen Betrachtungen stand.

Hier ein Beispielbild zum Beginn der blauen Stunde mit Korrektur:

Hier habe ich zusätzlich noch die aus der Perspektive entstehenden stürzenden Linien des oben gezeigten Bildes korrigiert:

Mit diesen Ergebnissen kann ich auch für Architekturfotos sehr gut leben.

Ich habe noch weitere Beispiele aus diesem Bereich, die mich absolut zufrieden stellen:

Hier noch ein 1:1-Panorama, dass ich aus 4 Hochformat-Bildern bei 35mm zusammengesetzt habe:

 

Wie bereits weiter oben beschrieben, kann man das Objektiv auf 2 verschiedenen Wegen adaptieren:
einmal direkt per Praktica PB auf Nex-Adapter oder auf dem Weg Praktica-PB-Ring auf Canon EOS und dann weiter per EOS-Nex- Helicoid Adapter,
der eine zusätzliche Nahbereichsfokussierung ermöglicht, denn 80cm Naheinstellgrenze sind nicht gerade üppig.

Für folgende Bilder habe ich die Helicoid -Variante gewählt -
ich wollte wissen, wie es sich bei jeweiliger Offenblende im Nahbereich so schlägt.
Hierzu habe ich versucht, das Motiv (Glücksschwein) ungefähr gleich groß ins Bild zu bekommen bei den Brennweiten 35, 50 und 70mm.

Diese 3 Bilder sind mit dem Auszug des Helicoid entstanden, ohne objektiveigenen Makro-Modus:

 35mm

50mm

70mm

Das folgende Bild ist mit dem objektiveigenen Makro-Modus (der nur bei 70mm funktioniert) entstanden:

Ich kann da, was die Schärfe (die übrigens sehr gut ist) keine Unterschiede zwischen nativem Makro-Modus und der Behelfslösung Helicoid-Adapter feststellen.
Kurzum: Der Helicoid ermöglicht auf gutem Niveau Bilder, die mit dem Objektiv sonst nicht möglich wären und wäre meine Empfehlung zur Adaption,
denn die 80cm Nahgrenze können sonst schon ein Showstopper sein.

Was den Makro-Modus (bis 1:3) angeht, ist dieser sehr nützlich an den Originalkameras  und wenn sich die Möglichkeit der Helicoid-Adaptierung aufgrund des Auflagemasses nicht verwirklichen lässt.

 

Hier eine kleine Blendenreihe im Makromodus bei f3.5, f4.5 und f6.3 (von Offenblende ausgehend je 2 Klicks abgeblendet).

 

Zuerst die Gesamtbilder - der Fokus lag auf dem helleren, diagonalen Blatt rechts der Bildmitte:

Und aus diesen Bildern Vergrößerungen vom Fokuspunkt:

Der Makromodus ist sehr nützlich und erweitert das Spektrum des Objektives sehr.
Auch qualitativ ist das absolut in Ordnung, die Schärfe passt ab Offenblende und steigert sich durch Abblenden natürlich noch.

 

Dies gilt nicht nur für die Bildmitte, sondern auch außerhalb ist die Schärfeleistung sehr gut.

Beim ersten der folgenden Bilder lag der Fokuspunkt genau auf dem Kreuz der linken und unteren Drittellinie,  beim zweiten Bild im linken unteren Bilddrittel noch weiter außen:

Auch hieraus habe ich zum Vergleich Vergrößerungen erstellt:

Auch zum Rand hin bleiben die Bilder im Makromodus sehr gut nutzbar, es ist nur ein minimaler Schärfeabfall zu sehen.

 

Hier noch ein paar Bildbeispiele im objektiveigenen Makromodus:

In meiner bisherigen Praxis bemühe ich aber viel lieber den Helicoid -Adapter zum bequemen Fokussieren in den Nahbereich.
Der große Vorteil ist, dass dies bei allen Brennweiten funktioniert und man nicht auf 70mm festgelegt ist.
Hier einige Bildbeispiele bei Nutzung des Helicoids bei den 3 Kernbrennweiten 35, 50 und 70mm, jeweils bei Offenblende:

Der Fokus auf dem Blatt rechts der Bildmitte.

 

Links seht ihr das Gesamtbild, rechts eine Vergrößerung vom Fokusunkt.

35mm

50mm

70mm

Auch hier wieder die 3 Kernbrennweiten im Nahbereich mit Helicoid , Fokus auf dem rechten Auge:

 

35mm

50mm

70mm

Für mich bleibt da nur das Fazit, ein über alle Brennweiten auch im Nahbereich mit der Helicoid-Lösung bereits gut auflösendes Objektiv.
Das hatte ich so gut nicht erwartet.

Aber auch im Nicht-Nahbereich kann das Objektiv ab Offenblende überzeugen.

Hier Fotos, die die Bildwirkung und Schärfe auf etwas größere Entfernungen zeigen.
Hierzu habe ich bei 35, 50 und 70mm ein Bild bei Offenblende angefertigt, und mittels zurückgehen den Bildausschnitt ungefähr angepasst.
Der Fokus lag jeweils auf dem Baumstamm.

Die Schärfe am Fokuspunkt ist bei allen Brennweiten absolut in Ordnung, feine Details werden aufgelöst. Alltagstauglich

Eine weitere Brennweitenreihe auf mittlere Nahdistanz bei Offenblende. Der Fokus lag immer auf der Barbara-Statue im Kohle-Baggerrad.

Auch hier gute Auflösung, ganz leichte Spuren der sphärischen Aberration mindern die Mikrokontraste

Kommen wir zum Hintergrundverhalten und Bokeh bei Nahbereichsaufnahmen mit weit entferntem Hintergrund:

Hierzu habe ich 2 Brennweitenreihen bei Offenblende angefertigt:

Fokus lag auf den leicht vom Wind verwehten Beeren im Vordergrund - Ziel war immer die 2. Beere von links (Bitte nicht zur Schärfebeurteilung nutzen - der Wind machte, was er wollte...)

Ich finde, dass die Hintergünde für ein Zoom angenehm aufgelöst werden.
Reststrukturen bleiben erhalten, zu den Bildecken hin verstärkt sich die Tendenz zum Outlining.
Kein Weichschmeichler, eher ein Charakterbokeh.

Bei der nächsten Brennweitenreihe habe ich per Helicoid  extrem nahe fokussiert und den Abstand jeweils angepasst um das Blatt in ähnlicher Größe abzubilden

Bei extremen Nahbereichsaufnahmen sind die Hintergründe schön weich mit leichter Blubbertendenz - gefällt mir gut.

 

Da wir gerade im Nahbereich sind - wie verhält sich das Objektiv  bei Abblendung auf nahe Fokusdistanz?

 

Ich habe bei allen 3 Kernbrennweiten eine Fokusreihe bei Offenblende und jeweils zweimal 2 Klicks abgeblendet erstellt, die euch das Hintergrundverhalten beim Abblenden zeigt.

Der Fokus lag  jeweils auf der oberen Kapsel am Ast oberhalb des Geländers.

 

35mm: OB, f4, f5.6

50mm: OB, f4.5, f6.3

70mm: OB, f4.5, f6.3

Ich finde, da gibt es bei allen Brennweiten nichts zu meckern für ein Zoom-Objektiv.
Alles wird relativ neutral aufgelöst, durch die (im Vergleich zu lichtstarken Festbrennweiten ) geringe Lichtstärke wird der Hintergrund natürlich nicht extrem ausgeblendet.
Störstrukturen halten sich wirklich in Grenzen, und die vorhandene Tendenz zum Outlining ist hier nicht so sichtbar.

Kommen wir zum Thema Farbfehler...

Ja, es gibt sie. Vor allem das Bokeh-Fringing vor und hinter der Schärfeebene ist eindeutig vorhanden,
jedoch im relativ geringen Ausmaß. An Kontrastkanten gegen den grauen Himmel sieht man es besonders gut. Hier ein Beispielbild mit Vergrößerungen von vor und hinter der Schärfeebene:

Ich empfinde die chromatischen Aberrationen vor der Schärfeebene als deutlicher sichtbar. Das grüne Fringing hinter der Schärfeebene ist dezenter.

 

Bei Durchlichtsituationen wird das halt besonders augenfällig und ist auch brennweitenunabhängig.

 

35mm + Vergrößerung:

70mm + Vergrößerung:

Insgesamt sehe ich dieses Thema entspannt - das Ausmaß der Farbfehler ist eher gering, im Gesamtbild fallen sie außer in solchen Härtetests gar nicht negativ auf.
Und auch diese Fehler wären in der EBV korrigierbar.
Ich denke man kann von einer zeitgemäß normalen bis guten Leistung in dieser Disziplin sprechen.

Zum vorläufigen Abschluß meiner Testbilderflut noch eine Brennweitenreihe auf mittlere Distanz bei Offenblende. Der Fokus auf dem nächstgelegenen Pfosten:

Hier sieht man schön "auf einen Blick" alle Schwachpunkte des Objektives: die jeweiligen brennweitenabhängigen Verzeichnungen, auch die starke Vignette bei 35mm fällt auf.
Weitere Fehler konnte ich kaum finden - ein wirklich gutes Zoom-Objektiv der 80er-Jahre.
Absolut nutzbar, die Fehler wie Verzeichnung und Vignette sind heute in der EBV gut zu behandeln.
Der Rest des Objektives "passt" - Schärfe, Rendering, Kontraste sind auch an 42MP absolut in Ordnung.

 

Und viele schöne Fotos konnte ich mit dem Objektiv einfangen, auch wenn das Wetter nicht mitspielte...

Ich hoffe, dass euch meine Vorstellung gefallen hat und freue mich hier auf eure Kommentare und Anregungen:

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Kommentare: 1
  • #1

    Klaus Treude (Samstag, 19 Februar 2022 23:57)

    Hallo,
    ich benutzte dieses Objektiv "analog" an einer BX20 seit 1992.
    Ich fotografierte damit zwischen 20 bis 30 Analogfilme im Jahr.
    Im "Gegenlicht" war es nicht so gut, aber in allen anderen Situationen
    im Bild sehr gut. Das kleine Sigma 35 -70mm war ebenso im Bild sehr präzise und bei Gegenlicht deutlich besser. 2010 endete meine Analog-Fotografie. Nun möchte dieses CZJ-Objektiv an einer A7iii wieder benutzen. Ihre Test-Bilder ermutigen mich dazu. Vorab muss jedoch ein Service bei "Olbrich" in Görlitz ( oder ....... ) erfolgen damit der Focusring wieder leichtgängig wird.
    Also danke für ihres Tests mit diesem Objektiv.
    Klaus Treude aus Kreuztal.